Angststörungen bei Kindern und Jugendlichen

Zukunftsangst, Angst vor der Dunkelheit, Trennungsangst, Spinnen-Phobie, diese und weitere Ängste sind unvermeidliche Begleiter der kindlichen und jugendlichen Entwicklung. Zur psychischen Störung werden sie erst, wenn sie so stark ausgeprägt sind, dass sie den Alltag der Betroffenen und ihrer Familien stark beeinträchtigen. Im Gespräch erläutert Katharina Rast-Pupato, Psychologin und Psychotherapeutin, die nach dem Ansatz der Integrativen Therapie auch mit Kindern und Jugendlichen arbeitet, weshalb die Kombination von Psychotherapie mit körperlichen Behandlungs-Ansätzen erfolgreich ist.

Was zeichnet das integrative Verfahren in der Psychotherapie aus?
Basierend auf Empathie und der partnerschaftlichen Beteiligung der PatientInnen am Therapie-Geschehen wird die psychotherapeutische Behandlung mit anderen geeigneten therapeutischen Richtungen kombiniert, wie z.B. Kunst-, Musik-, Bewegungs- oder Naturtherapie, um die Selbstheilung und Förderung anzustossen und zu unterstützen. Zusätzlich wird bi- oder multimodal zu weiteren Therapien ausserhalb angeregt. Ob ein Austausch mit dieser anderen Therapieform geschieht oder nicht, liegt immer in der Entscheidung der PatientInnen.

Weshalb sind Angststörungen gerade bei Kindern und Jugendlichen häufig?
Die Angst ist ein wesentlicher Teil der emotionalen kindlichen Entwicklung. Ängste gehören in diesem Sinne zum Spektrum der Entwicklung dazu. Problematisch werden sie erst, wenn sie bestehen bleiben oder häufig sowie in starker Ausprägung auftreten und dadurch das Leben der Kinder einschränken. Die Ursachen einer Angststörung sind vielfältig. Vermutet wird ein Zusammenspiel aus einer Überreaktion des Nervensystems, Veranlagung, negativen Erfahrungen, sowie ungenügenden Kompensationen und Schutzfaktoren. Auch sind Kinder und Jugendliche empfindsam für das seelische Befinden ihrer engsten Bezugspersonen. Wenn es diesen schlecht geht, besonders wenn dies unausgesprochen ist, kann das Kind zusätzlich belastet werden. Schätzungsweise 10% der Kinder und Jugendlichen leiden unter einer Angststörung[1].
Eine grosse Herausforderung dabei ist auch, eine Angststörung überhaupt zu erkennen. Ängste werden von Kindern und Jugendlichen oft überdeckt mit Vermeidungs- oder Verweigerungsstrategien und Isolierung. Beispielsweise kann sich dies dadurch äussern, dass der Jugendliche nicht mehr in die Schule will, «weil sie blöd ist» oder das Kind nicht mehr mit anderen Kindern spielen will, weil «alle doof sind». Deshalb ist Früherkennung und eine angepasste Behandlung so wichtig, bevor sich die Angststörung verfestigt und in eine Abwärtsspirale führt.

Was sind die Ansätze in einer integrativen Therapie von Angststörungen?
Es wird auf verschiedenen Ebenen mit den PatientInnen gearbeitet. Einerseits kognitiv und emotionsfokussiert, um Ängste einzuordnen und relativieren zu können. Hier können beispielsweise Leitsätze, die die Betroffenen selbst formulieren sehr hilfreich sein, wie beispielsweise: «Gefühle sind Wellen, die kommen und gehen. Gefühle sind Flammen, die wieder ausgehen. Ich bin mehr als meine Gefühle.»
Es kann auch ein Zugang über den Körper geschehen, beispielsweise durch Entspannungstechniken, Achtsamkeitsübungen oder das Selbstvertrauen stärkende Rollenspiele und Körperübungen. Parallel dazu hilft häufig eine sportliche Betätigung oder auch eine KomplementärTherapie wie Shiatsu.

Inwiefern kann eine sportliche Betätigung geeignet sein?
Angst ist ja unter anderem eine vegetative Reaktion, die deshalb mehr als nur kognitiv angegangen werden soll. Das Ziel bei sportlicher Betätigung kann beispielsweise sein, die gleichen körperlichen Symptome, wie erhöhter Puls und Schweissausbruch, die normalerweise von einer Angst-Attacke ausgelöst werden, durch Jogging, Tanzen oder eine beliebige andere sportliche Anstrengung auszulösen und dadurch eine von der Angst abgelöste angenehme Erfahrung zu erzeugen.

Ist Shiatsu besonders geeignet als ergänzende Therapie bei Angststörungen?
Verfahren allgemein, welche Achtsamkeit im Zentrum haben und fördern, können sehr gut geeignet sein. Die TherapeutInnen sind sich gewohnt, achtsam zu erkunden, wieviel Entspannung oder welche Art von Berührung von den KlientInnen als wohltuend empfunden wird und können so auch helfen, die Selbstwahrnehmung der Betroffenen zu verbessern. Auch dass im Shiatsu an der bekleideten Person behandelt wird, bedeutet häufig eine substanzielle Beruhigung und ein Wahren wichtiger Grenzen. Körperliche Behandlungsansätze geschehen immer in wechselseitigem Austausch mit den KlientInnen, also einem Austausch darüber wo, wieviel und wie lange eine Berührung geschehen darf und für gut befunden wird. Shiatsu kann beispielsweise auch ein Zuviel an Entspannung bedeuten, die vom Jugendlichen (noch) nicht zugelassen werden kann.
Der Entscheid, ob Shiatsu oder ein anderer körperorientierter Ansatz als Unterstützung der psychotherapeutischen Behandlung gewählt wird, ist bei Minderjährigen am Ende aber auch abhängig davon, wie zugänglich ihre jeweiligen Bezugspersonen für körperorientierte Therapien sind. Die Aufgabe der PsychotherapeutIn ist dann, eine solche Offenheit zu erkennen oder allenfalls zu fördern.

Was sind deine Erfahrungen mit der bimodalen Vorgehensweise, also mit körperorientierten Behandlungen zusätzlich zur integrativen psychotherapeutischen Behandlung?
Ich habe dies fast durchwegs als eine Bereicherung erlebt. Die Veränderungen, die ich bei meinen jungen PatientInnen erfahre, sind, dass sie sich besser entspannen können und sich gestärkt fühlen. Sie können mehr Selbstfürsorge entwickeln, erfahren mehr Wohlbefinden und haben mehr Hoffnung auf eine Verbesserung. Mögliche Blockaden können schneller aufgelöst werden. Durch den körperorientierten Ansatz zusätzlich zur integrativen Psychotherapie können in anderen Bewusstseinsebenen Prozesse unterstützt werden oder auch erst in Erscheinung treten. Deshalb kann es vorübergehend auch zu einer Intensivierung der Prozesse kommen, welche dann in der integrativen Psychotherapie wiederum weiterbehandelt werden kann. Ein körperorientierter Ansatz ersetzt bei Angststörungen die Psychotherapie nicht, kann aber sehr stützend wirken.

Was ist dein Wunsch für die therapeutische Zusammenarbeit?
Ich würde mir unter therapeutischen Fachpersonen mehr Partnerschaftlichkeit, weniger Hierarchien und allgemein eine stärkere Vernetzung und eine Verbesserung der Anschlussfähigkeit zwischen verschiedenen Therapieformen wünschen. Ich empfehle allen therapeutisch tätigen Fachpersonen regelmässige und persönliche Erfahrungen mit verschiedenen Therapieformen. Gerade eben habe ich wieder mit einer Sequenz Shiatsu begonnen und freue mich über die wohltuende, ausgleichende und auf allen Ebenen stärkende Wirkung. Es ist für die Qualität unserer Arbeit von entscheidender Bedeutung, dass wir MenschenarbeiterInnen auf unser Wohlbefinden achten.

Interview: Andrea Pfisterer