Weshalb Berührung so wichtig ist
Damit es uns gut geht, brauchen wir Berührung. Sie entspannt, stärkt das Immunsystem und wirkt vorbeugend gegen Stress. In der aktuellen Corona-Krise fallen jedoch viele selbstverständliche Berührungen weg oder werden als Gefahr empfunden. Personen, die in Quarantäne sind, müssen zudem vollkommen auf Berührung verzichten. Wie kann das Wohlbefinden in einer solchen Situation verbessert werden?
Knapp ein Viertel der 18- bis 80-Jährigen leben in der Schweiz ohne Partnerin oder Partner, der Anteil allein Lebender beträgt bei Pensionierten sogar über 30%. Seit Anfang der Corona-Pandemie gelten gerade diese älteren Menschen als besonders gefährdet und sind dadurch noch mehr isoliert. Eine höhere soziale Isolation, sowie Einschränkungen des gewohnten Alltags werden aber aktuell von allen Bevölkerungsschichten wahrgenommen.
Sei es ein Händedruck, das liebevolle Kuscheln mit dem Enkel oder die spontane Umarmung eines Freundes, die meisten Menschen sind sich ein gewisses Mass an täglichem Körperkontakt gewohnt. Das Halten von Abstand und die Isolation können zu einem Mangel an menschlicher Zuwendung führen.
Der Tastsinn − ‹Mutter aller Sinne›
Unsere Haut, das grösste Organ des Körpers, enthält Millionen von Rezeptoren, mit denen wir Druck, Schmerz, Wärme und Kälte wahrnehmen. Von diesen Hautrezeptoren werden die Empfindungen als Signale ans Gehirn geschickt, welches unterscheidet, ob eine Berührung als positiv oder negativ eingestuft wird. Der Tastsinn ist bei der Geburt von allen Sinnen der am weitesten entwickelte und bleibt bis ins hohe Alter erhalten. Menschen brauchen den körperlichen Kontakt zu anderen, damit es ihnen gut geht. Berührungsreize sind für das Wachstum und das Wohlbefinden eines Menschen entscheidend.
Eine angenehme, freundliche Berührung aktiviert im Gehirn die Ausschüttung von Oxytocin. Dieses ‹Glückshormon› wirkt schmerzlindernd, blutdrucksenkend und reduziert die Ausschüttung von Stresshormonen wie Cortisol. Dies ist hilfreich, da ein zu hoher Cortisol-Spiegel die Aktivität unseres Immunsystems drosselt und uns somit anfälliger für Infekte macht.
Professor Tiffany Field, Direktorin des Touch Research Institute an der Universität Miami, führte im April eine Umfrage unter Menschen, die sich im Lockdown befanden, durch. Dabei zeigte sich, dass etwa 60 Prozent der Befragten unter Berührungsentzug litten, welcher in vielen Fällen zu Gesundheitsproblemen wie Stress, Angst, Depressionen, Müdigkeit und Schlafstörungen führte.
«Es kann ein Teufelskreis entstehen: Berührungsentzug verstärkt die Angst vor der Covid-Situation, und diese Angst wiederum trägt zum Berührungsentzug bei», meinte Prof. Field in einem Radio-Interview. «Ich bin sehr beunruhigt», sagt sie, «denn dies ist eigentlich die Zeit, in der wir menschliche Berührung am meisten brauchen, weil sie für die Immunfunktion von entscheidender Bedeutung ist.»
Kurzfristig könne sich die Gesellschaft mit solchen Ausnahmesituationen arrangieren, beurteilt der Haptik-Forscher Martin Grunwald von der Universität Leipzig die derzeitige Situation. Auf längere Sicht könne sich dies jedoch auf die Gesundheit und das Wohlbefinden auswirken.
Neue Tendenzen zeigen sich auch in den Shiatsu-Praxen
Die Shiatsu Gesellschaft Schweiz hat kürzlich eine Umfrage unter ihren Mitgliedern durchgeführt, in welcher 42% der 173 teilnehmenden TherapeutInnen angab, dass sie eine Veränderung in den Themen, mit welchen KlientInnen in die Praxis kommen, bemerkt hätten. So beobachteten sie, dass vermehrt Ängste, Verunsicherung, Depressionen, Stress und Trauer in den Vordergrund rückten. Ursachen dafür können nebst Isolation auch ein, durch die Pandemie verursachter, erhöhter Druck bei der Arbeit, Angst vor Jobverlust oder allgemeine Zukunftsangst sein.
In einer komplementärtherapeutischen Behandlung wie Shiatsu, wo eine empathische, respektvolle Berührung an erster Stelle steht, wird dem Menschen aufmerksam und bewusst begegnet. Im begleitenden Gespräch werden solche Gefühle und Ängste bewusst gemacht und während der Behandlung mittels Berührung der Energieblockaden im Körper gelöst. Die Behandlung der Meridiane am ganzen Körper, die das Geschehen beeinflussen können, reguliert das menschliche Energiesystem. Mit behutsamen und sanften Bewegungen und differenziertem Druck den Meridianen entlang wird der unausgewogene Energiefluss im Körper angeregt und ausgeglichen. So kann Shiatsu, das auch schon als ‘Kunst der Berührung’ bezeichnet wurde, in dieser berührungsarmen Zeit nicht nur das Berührungsdefizit mindern, sondern mittels seinem fernöstlichen Therapieansatz ganz gezielt Beschwerden lindern. Eine Studie aus dem Jahre 2018 (1) bestätigt, dass Shiatsu einen positiven Einfluss auf die Stressverarbeitung hat.
Aufmerksamkeit und Bewegung
Wer regelmässig berührt wird, ist entspannter, hat ein stärkeres Immunsystem und weniger Schmerzen. Doch was können Menschen tun, die in dieser zurzeit herrschenden Welt des Abstandhaltens abgeschnitten und isoliert sind? Der erste, wichtigste Schritt ist, das Defizit bei sich selbst zu erkennen und sich auf mögliche Ressourcen zu besinnen. So helfen beispielsweise ein Spaziergang im Wald, Sport oder jede Art von Bewegung, denn dadurch wird die Haut mitbewegt, die Druckrezeptoren werden stimuliert und alle eingangs erwähnten positiven Effekte können sich einstellen.
(1) Hat Shiatsu einen positiven Einfluss auf die Stressverarbeitung? Bachelor-Arbeit, Claudia Leyh-Dexheimer, Steinbeis-Hochschule Berlin (Institut für Komplementäre Methoden)