Haltungen beeinflussen die Therapie grundlegend

Daniel Schneitter ist KomplementärTherapeut mit eidgenössischem Diplom Methode Shiatsu und Dozent in der Shiatsu-Ausbildung. Handlungskompetenzen einer KomplementärTherapeutIn in der Methode Shiatsu werden im Berufsbild theoretisch beschrieben. Wie das in der Praxis aussehen kann, und wie er zusammen mit seinen KlientInnen auf Schatzsuche geht, legt Daniel in diesem sehr interessanten Interview dar.

Viele TherapeutInnen sind auf dem Weg zum eidgenössischen Diplom und setzen sich dazu mit dem Berufsbild der KomplementärTherapie (KT) auseinander. Was bedeuten die Handlungskompetenzen, die von KomplementärTherapeutInnen verlangt werden in der konkreten praktischen Arbeit mit Shiatsu? Im Berufsbild begegnen wir verschiedenen Handlungskompetenzen – was bedeuten sie?

Die Handlungskompetenz ist das ganzheitliche Handlungsrepertoire einer Person. Dieses befähigt, in unterschiedlichen Situationen selbstorganisiert zu handeln, Aufgaben und Tätigkeiten eigeninitiativ, zielorientiert, fachgerecht und flexibel auszuführen. Handlungskompetenzen setzen sich aus Wissen, Fertigkeiten und Haltungen zusammen.

Wissen und Fertigkeiten sind fassbar. Was aber sind Haltungen?
Haltungen basieren auf Einstellungen, Überzeugungen, Glaubenssätzen, Denk- und Gefühlsmustern, Prägungen, Konditionierungen und Werten. Sie werden in unserer Kommunikation durch unser Verhalten dauernd transportiert. Der Neurobiologe Gerald Hüther beschreibt dies sehr schön mit den Worten:

«Wir kommunizieren nie, was wir gelernt haben – wir kommunizieren immer, wer wir sind.»

Wir vermitteln also meist unbewusst ständig unsere Haltungen, nonverbal und paraverbal. Dies wirkt sich auch intensiv auf die therapeutische Arbeit aus.

Als TherapeutInnen können wir zum Beispiel die Anliegen von KlientInnen als Handicaps betrachten, die (weg)kuriert werden müssen oder wir können darin Aufgaben sehen, an denen KlientInnen wachsen können. Diese unterschiedlichen Haltungen beeinflussen den Begleitprozess und unsere Arbeit als TherapeutIn wesentlich.

Wenn wir eine Haltung einnehmen, die auf das Kurieren der Probleme fokussiert, ist es wichtig, die relevanten Informationen zu sammeln, damit wir die besten Impulse setzen können, so dass sich die Situation verändern kann. Bei dieser Herangehensweise fungieren TherapeutInnen als ExpertInnen der «Fehlerfahndung», und die KlientInnen sind eher passiv. Wenn wir die Situation der KlientInnen hingegen als Ausdruck des Selbst sehen, können wir sie dazu anleiten, mit sich und dem körperlichen Ausdruck ihres Befindens im Sinne einer «Schatzsuche» in Kontakt zu treten und den dabei auftauchenden Stellen und Themen Aufmerksamkeit zu schenken. Der erste Ansatz entspricht eher einer pathogenen, der zweite vielmehr einer salutogenen, respektive einer komplementärtherapeutischen Haltung.

Können wir unsere Haltungen verändern?
Ich möchte auf eigene Erfahrungen zurückgreifen und aufzeigen, wie ich von meinen Haltungen beeinflusst wurde, wie sie sich veränderten und wie dies mein Shiatsu wandelte.

Eine starke Motivation, therapeutisch zu arbeiten, entsprang einem Bedürfnis, Menschen zu berühren und dem Wunsch zu helfen. Ich begann die Ausbildung zum Shiatsu-Therapeuten mit viel Begeisterung und Engagement. In den ersten Jahren meiner Shiatsu-Tätigkeit war mein Ansatz eher geprägt von einem Verständnis des Behandelns. Ich investierte viel Zeit und Interesse, um mein Gespür zu entwickeln, wirkungsvolle Techniken zu erlernen und Zusammenhänge zu verstehen, um KlientInnen optimal zu «helfen». Meine Fragen und Befundaufnahmen zielten darauf ab, möglichst die effektivste Herangehensweise zu ermitteln. Ich war dabei sehr aktiv und die KlientInnen eher passiv.

Bei einigen KlientInnen hatte ich damit aber nicht den gewünschten Erfolg. Als Klient machte ich parallel die Erfahrung, wie sensibel ich auf Lösungen reagierte, die andere für mich bereithielten. Obwohl solche Lösungen theoretisch durchaus ihre Berechtigung zu haben schienen, fühlte ich mich als Klient eher geschwächt als bestärkt. Ich befasste mich in dieser Zeit intensiv mit kooperativem Lernen und erkannte, dass der therapeutische Prozess primär ein Lernprozess ist. Frei nach Konfuzius bedeutet dies:

«Was erklärt wird, geht allzu oft vergessen, was gezeigt wird, kann erinnert werden und was KlientInnen selbst tun, lässt sie verstehen.»

Dies führte mich nach und nach dazu, mein Rollenverständnis respektive -verhalten zu hinterfragen und mein Bedürfnis zu «helfen» zu reflektieren.

In mir reifte eine andere Haltung heran. Ich begann, KlientInnen als ExpertInnen ihres Lebens zu verstehen. Ich erkannte, dass sie die Lösungen ihrer Probleme bereits in sich tragen. Mir wurde bewusst, dass der Lerneffekt viel grösser und nachhaltiger ist, je aktiver KlientInnen ihren Prozess mitgestalten können. Dies veränderte meine Herangehensweise stark. Meine Fragen zielten nun darauf ab, die Aufmerksamkeit der KlientInnen zu stärken und ihr Bewusstsein zu entwickeln.

Ich liess mich von Gesprächsführungsmodellen der lösungsorientierten Kurzzeitberatung, transpersonalen Psychologie, Idiolektik und vom Focusing inspirieren und fand mit Movement Shiatsu einen Ansatz, der diese Haltung optimal zum Ausdruck kommen lässt. Die Motivation zu helfen beeinflusst meine Arbeit heute viel weniger.

KlientInnen als ExpertInnen ihres Lebens – wie zeigt sich das konkret im Shiatsu?
KlientInnen kommen normalerweise mit Problemen. Ich leite die KlientInnen dazu an, ihre Möglichkeiten zu erkunden, anstatt auf das Problem zu fokussieren. Oft erlebe ich es als hilfreich, mit ihnen erst Fähigkeiten und Ressourcen zu beleuchten. Dabei leite ich sie zum Beispiel an, die Stellen im Körper zu erspüren, die sie als stark, stabil und sicher erleben – Körperzonen, welche sie befähigen. Ich lasse die KlientInnen diese Bereiche bis an die Grenzen erforschen. Es ist wie mit den Gezeiten. Wenn die Flut der Fähigkeit und Ressourcen den problematischen Bereich erreicht, entsteht eine kraftvolle Dynamik, in der KlientInnen fühlen, wie sie mit Schwierigkeiten umgehen können. Sie erleben sich als aktiv und mitgestaltend bei diesem Erforschen.

Lösungen, die KlientInnen selber finden, berühren und überraschen immer wieder von Neuem. Diese selber gefundenen Antworten sind umsetzbarer, präziser und nachhaltiger als jene, die TherapeutInnen für sie parat hätten.

Welche Chancen bietet diese Art der therapeutischen Arbeit?
Mit der Haltung, dass unsere KlientInnen ExpertInnen ihrer selbst sind und den therapeutischen Prozess aktiv mitgestalten, wird eine salutogene Herangehensweise gemäss den Grundlagen der KomplementärTherapie erst ermöglicht. In der Salutogenese – der Lehre wie Gesundheit entsteht – wird Gesundheit als ein dynamischer, eigenverantwortlich gestalteter Prozess verstanden.

Welchen Stellenwert hat unsere Haltung in der therapeutischen Arbeit?
Haltungen bilden die Grundlage – den Boden der Handlungskompetenz – auf dem sich die Fertigkeiten und das Wissen erst richtig entfalten können. Deshalb empfinde ich es als zentral, die eigenen Haltungen bewusst wahrzunehmen und zu reflektieren. Erst wenn unser Wissen, unsere Fertigkeiten und unsere Haltungen konstruktiv und situativ zusammenspielen, werden wir kompetent und fähig, auch schwierige und unerwartete Situationen erfolgreich zu bewältigen.

Interview: Barbara Ettler

Biografische Angaben:
Daniel Schneitter (46) ist KomplementärTherapeut mit eidgenössischem Diplom in der Methode Shiatsu. Daniel ist Ausbildungsleiter und Dozent einer Schweizer Shiatsu-Schule.