Klarheit über Möglichkeiten und Grenzen schafft Vertrauen

Welches sind die Möglichkeiten und Grenzen von Shiatsu als Therapie? In welchen Fällen ist es geboten, in Absprache mit den KlientInnen einen Arzt beizuziehen? Solche Fragen beantworten zu können, braucht viel Klarheit – zugleich stellt diese Klarheit einen elementaren Aspekt in der professionellen Shiatsu-Therapie dar.

In der neuen Berufsbezeichnung von Shiatsu als Methode der KomplementärTherapie steckt das Wort «komplementär» drin – was bedeutet dieser Begriff für dich und deine Arbeit als KomplementärTherapeutin in der Methode Shiatsu?
Wortwörtlich heisst «komplementär» ja «ergänzend», im Rahmen einer Therapie-Planung zusammen mit der Schulmedizin könnte man auch «interdisziplinär» mitdenken. Für die konkrete Arbeit heisst das für mich in erster Linie, dass ich mir immer wieder ganz klar bewusst mache, wo die Grenzen meiner Möglichkeiten als KomplementärTherapeutin sind. Das heisst auch: Wo sind die Übergänge? Wo wirkt Shiatsu komplementär zur Schulmedizin? Was kann ich bieten, und wann muss ich KlientInnen zum Arzt /zur Ärztin schicken? Konkret habe ich mit einem Hausarzt die Absprache, dass ich ihn im Beisein der Klientin oder des Klienten anrufen kann, wenn die Situation dies gebietet. Ich schildere ihm dann jeweils kurz, was das Thema ist und kann die betreffende Person an ihn weitervermitteln.

Um so zu arbeiten, braucht es viel Klarheit in der Art, wie du kommunizierst. Wie schaffst du für dich selbst immer wieder diese Klarheit?
Ich arbeite stetig an mir, indem ich mein Tun reflektiere – beispielsweise in Supervisionen, Weiterbildungen und mit Behandlungen, mit denen ich mir selber Sorge trage. Für mich ist es wichtig, auch in emotional tiefgehenden Momenten eine professionelle Distanz zu wahren und sachlich zu reagieren. Wenn ich meine eigenen Grenzen kommuniziere, geht es auch um die Frage, wie weit ich bereit bin abzugeben. Ich kann KlientInnen verlieren, wenn ich klar aufzeige, was ich bieten kann und was eben nicht. Klarheit zu bewahren ist nicht immer einfach, denn es gibt auch sehr fordernde KlientInnen. Da muss man sich selbst sicher sein, und das bedeutet für mich ein ständiges Arbeiten an mir und meinen Themen. Ich reflektiere meine Eigenprozesse.

Kannst du eine konkrete Situation schildern, in der du deine Grenzen setzen musstest?
Das war eine Klientin mit Suizid-Gedanken. Da musste ich ganz klar Stopp sagen, hier kann ich die Verantwortung nicht mehr übernehmen. Ich habe auch in diesem Fall mit dem Einverständnis der Klientin und in ihrem Beisein Kontakt zum behandelnden Arzt aufgenommen. Die Klientin ging dann direkt von meiner Praxis zum Arzt, und dieser überwies sie anschliessend in psychiatrische Behandlung. Ich möchte da meinen KlientInnen gegenüber sehr klar sein. Ich zeige ihnen auf, was mein Bereich ist, wie weit ich gehen kann und ab wann ich die Verantwortung nicht mehr übernehmen kann. Diese unbedingte Klarheit schafft bei meinen KlientInnen Vertrauen. Die genaue Definition meiner Aufgabe und meiner Grenzen vermittelt ihnen Sicherheit und das Gefühl, dass ich sie ernst nehme. Sie spüren, dass ich die Situation einschätzen und mich abgrenzen kann.

Wie erlebst du, dass ÄrztInnen bei einem derartigen Fall auf deinen Anruf reagieren?
Ich habe den Eindruck, dass wir als Shiatsu-TherapeutInnen seit der Anerkennung von Shiatsu als Methode eines eidgenössisch anerkannten Berufs einen höheren Stellenwert gewonnen haben bei den ÄrztInnen, welche diese Entwicklung mitbekommen haben. Ich werde als KomplementärTherapeutin der Methode Shiatsu ernst genommen, wenn ich KlientInnen weiterschicke, und die KlientInnen, derentwegen ich anrufe, bekommen in aller Regel sehr schnell einen Arzttermin. Abgesehen davon, dass wir ernster genommen werden, stellen wir aber auch keinerlei Konkurrenz dar. Im Gegenteil – die interdisziplinäre und ergänzende Zusammenarbeit gelingt mehr und mehr. Meine Behandlungen verstehe ich eindeutig als unterstützende Ergänzung zur medizinischen Therapie. Wenn etwa jemand die vom Arzt / der Ärztin verschriebenen Medikamente nicht einnehmen will, frage ich, was die Vorstellung Medikamente einnehmen zu müssen denn auslöst. Kommen Gefühle hoch, gehe ich auf beispielsweise Angst und Verunsicherung ein. Wenn diese Gefühle sich beruhigen können, mache ich den Vorschlag die Medikamenteneinnahme einfach mal für sich als Experiment zu betrachten und dann zu schauen, wie es sich so anfühlt. Mit dieser Herangehensweise versuche ich eine möglichst gute Voraussetzung für die Verordnung der ärztlichen Therapie zu schaffen, so dass diese nicht unterlassen wird. Wir haben mehr Raum und Zeit, um auf die KlientInnen einzugehen, sie in den Behandlungsplan mit einzubeziehen und deren Eigenverantwortung zu stärken. Wichtig dabei ist die genaue Abklärung meines Auftrages und der Schnittstellen zur Schulmedizin. Im Austausch mit ÄrztInnen ist es angezeigt, keine methodenspezifische Fachsprache zu sprechen, um das gegenseitige Verständnis zu fördern.

Klarheit und Grenzen setzen ist somit zentral in der Frage, wie komplementäres respektive interdisziplinäres Zusammenarbeiten gelingen kann. Doch auch innerhalb der eigentlichen Shiatsu-Therapie spielen diese Haltungen eine grosse Rolle, wie erlebst du das?
Wenn etwa eine Klientin oder ein Klient zu weinen beginnt, nehme ich die Person nicht in den Arm, um Trost zu geben. Ich höre einfach zu und gebe dem Menschen Raum für seine schmerzhaften Prozesse. Im Shiatsu können wir einen vertrauensvollen Rahmen schaffen, in dem sich auch Gefühle wie Angst, Schmerz, Wut oder Trauer zeigen können. Meiner Erfahrung nach geht es nicht darum, was jemand im Detail erzählt. Es geht um die Emotionen, die das Erzählte auslöst. Ich frage dann jeweils auch genau nach, was die Erzählung im Körper des jeweiligen Menschen auslöst. Wie fühlt sich das
Erzählte im Körper an? Wo im Körper wird etwas spürbar? Was genau wird spürbar? Das Nachfragen auf dieser Ebene bringt oft grosse Veränderungen in Gang, etwa dass jemand wieder besser durchatmen kann oder sich ganz konkret physisch entspannen kann. Es geht dabei nicht ums Reden und Trösten, sondern darum, das Gegenüber ernst zu nehmen und empathisch zuzuhören. Ein zentraler Punkt ist es darüber hinaus, dass wir als KörpertherapeutInnen die KlientInnen darin unterstützen können, wieder zu sich selber und ganz konkret auch zurück in ihren Körper zu finden und diesen zu spüren. Um aber diesen vertrauensvollen Raum überhaupt schaffen zu können, muss ich selber eine gewisse Sachlichkeit bewahren und gut verankert sein, um die Ruhe und Zentriertheit bewahren zu können.

Interview: Cristina Frey

Biografische Angaben:
Anita-Ursina Studach-Grass (47) ist KomplementärTherapeutin mit eidgenössischem Diplom in der Methode Shiatsu.