Paartherapie für Kopf und Körper

Ich habe LongCovid, und es gibt noch keine Medizin, mit der man bleierner Müdigkeit und dem kompletten Ausfall der Belastbarkeit zu Leibe rücken kann. Das schaffte mir den Raum, es auf andere Weise zu versuchen.

So kam ich zur Shiatsu-Behandlung. Für meinen Kopf stellte sich die Sache zunächst so dar: Man liegt auf dem Boden, jemand drückt nach einem nur ihm oder ihr zugänglichen System auf einem herum, bewegt mal den Arm und mal das Bein und behauptet hinterher, das sei gut für den Nieren-Meridian. Und das soll helfen?

Mein Körper aber fand: „Das bringt Energieflüsse in Gang! Energie! Erinnerst du dich, Kopf? Da gab es doch mal diese Kraft, die einen antrieb! Was haben wir schon zu verlieren? Und rumliegen kriegen sogar wir noch hin!“

Seit Ende Januar gehe ich alle ein bis zwei Wochen zum Shiatsu. Meine Aufgabe besteht darin, auf dem Boden zu liegen. Das war für Wochen das einzige Erlebnis, das mich nicht überforderte. Ich nenne diese Stunde zärtlich „Paartherapie für Kopf und Körper“. Was meine ich damit?

LongCovid ist ein Krankheitsbild der extrem unterschiedlichen Geschwindigkeiten, zumindest wenn man, wie ich, mit Erschöpfung und extremer Belastungsstörung zu kämpfen hat. Während gegen diese beiden noch nichts anderes hilft, als sich der Belastungsgrenze nicht einmal annähernd auszusetzen, werden andere Teile in mir nervös. Die Lunge will trainiert werden, die Muskeln wollen nicht abbauen, der Kopf will sich mit irgendetwas beschäftigen, die Seele will andere Menschen treffen. Deswegen fühle ich mich oft innerlich zerrissen. Jeder Teil in mir möchte etwas anderes. Einem Teil geht alles nicht schnell genug, einem anderen viel zu schnell. Ein Teil ist kein bisschen ausgelastet, ein anderer vollkommen überlastet. Und alle nerven sich gegenseitig.

Wie es sich für eine Paartherapie gehört, erlebe ich beim Shiatsu, dass Kopf und Körper sich wieder gegenseitig zuhören. In dieser einen Stunde Shiatsu in der Woche erleben sich Kopf und Körper für einmal nicht als Störfaktor. Stattdessen hören sie sich zu und achten auch auf die Leiden des anderen.

Erst im Shiatsu fiel mir auf, dass ich meinen Körper im Grunde kaum noch spürte. Es war, als lebte ich in einer Barbiepuppe. Die Drückerei auf dem Körper tut mir gut, auch unabhängig davon, ob mein kritischer Geist mit dem Konzept von Meridianen etwas anfangen kann oder nicht. Das Bein spürt sich, und das Gehirn ist ein Stündchen mit Verarbeiten der Reize beschäftigt. Es muss also nicht darüber nachdenken, was werden soll, wenn es den Rest des Lebens mit Kopfnebel in einer Barbiepuppe gefangen ist. Dazu ist es mit einer Aufgabe beschäftigt, die es bewältigen kann. Für ein Gehirn, das seit LongCovid sogar mit den Vorabend-Krimis überfordert ist, eine gute Erfahrung.

Und dem Körper tut es ebenfalls gut, mitzubekommen, dass er noch etwas fühlen kann. Einmal meinte ich hinterher: „Es fühlt sich an, als würden nur noch fünf statt sechs Meter Schnee über mir liegen.“ Von aussen mag das kein großer Unterschied sein. Aber für mich war er gross genug, vor Glück fast zu weinen. Ein anderes Mal stellte ich nach der Behandlung verblüfft fest, dass ich ja Hände habe und die auch spüren kann. Ebenso überrascht war ich, als ich mich zum ersten Mal seit LongCovid in meinem Körper „zuhause“ gefühlt habe.

Immer sind Teile in mir, die drängeln und solche, denen alles zu schnell geht. Oft komme ich unausgeglichen ins Shiatsu. Mal überwiegt die erschöpfte, überforderte und verzweifelte Seite, mal die euphorische. Wenn ich die Praxisräume verlasse, dann ist „Gesundwerden“ wieder ein gemeinsames Projekt von allen Teilen in mir. Das hilft mir, damit klar zu kommen, dass LongCovid eine extrem langsame Krankheit ist.

Für Fatigue und Erschöpfungssyndrom kennen wir noch keine Heilung. Das, was die Beschwerden auslöst, ist medizinisch mit unseren bisherigen Methoden (noch) nicht nachweisbar. Daher sind Arztbesuche eher belastend, weil sie einen sehr hilflos zurücklassen. Psychotherapie wäre ebenfalls mehr Be- als Entlastung, weil schon das Setting zu anstrengend wäre. Für eine Stunde Gespräch über das Elend dieser Krankheit reichen weder meine Konzentration, noch meine körperlichen Kräfte, noch meine Belastbarkeit. Die „klassischen“ medizinischen und therapeutischen Ansätze rauben mir Kräfte.

Ich bräuchte viel dringender Menschen, die mich beim Bremsen unterstützen. Mir das Recht zugestehen, langsam zu sein. Das bisschen Energie, das ich habe, wachsen und sich festigen zu lassen, anstatt es sofort für irgendetwas aufzubrauchen und somit auszureissen. Shiatsu ist da genau das Richtige, da es von mir nur verlangt, körperlich anwesend zu sein. Ich „tue“ etwas für meine Gesundheit und schalte ein paar Gänge runter.

Der Artikel ist ein Auszug aus dem Buch:
Maria A. Sinning: Wie Schneewittchen im Sarg – Mein Leben mit LongCovid.ISBN: 978-3-756219964 (auch als E-Reader erhältlich).
Mit freundlicher Genehmigung der Autorin.