Post-Covid − ein Erfahrungsbericht

«Post Covid-19 Condition», so nennt die WHO offiziell die Langzeitfolgen einer Covid-19-Erkrankung[1]. Im allgemeinen Sprachgebrauch hat sich dafür die Bezeichnung «Long Covid» etabliert. Auch in der Schweiz sind immer mehr Menschen betroffen. Wir haben mit Marianne Baumann (Name geändert) gesprochen, die an Long Covid erkrankt ist und zur Behandlung auch auf Shiatsu setzt.

Marianne (43) führt ein Leben wie viele Frauen in der Schweiz. Sie ist Mutter zweier Kinder und arbeitet in einem 60%-Pensum als Jobcoach. Doch seit Frühling 2020 kann sie ihren Beruf nicht mehr ausüben, die Hausarbeit verlangt ihr viel Kraft ab, und für die Kinder hat sie nur noch punktuell genügend Energie. Nach überstandener Covid-Erkrankung leidet sie an verschiedenen Langzeitfolgen.

Erzählen Sie bitte, wie Ihre Covid-Erkrankung verlaufen ist.
Ich wurde Ende April krank. Der Verlauf war eher mild, ich war froh, dass ich nicht ins Spital musste. Mich plagten Husten, Atembeschwerden, Gliederschmerzen und ich war sehr müde. Aber eigentlich waren frühere Grippeerkrankungen schlimmer gewesen. Niemand sonst aus meiner Familie wurde krank, weshalb ich auch nicht weiss, wo ich mich angesteckt habe.
Nach der Isolation ging es mir wie ich es von einer Grippe kannte: ich war müde, auch hatte ich immer noch Husten. Mir war abwechselnd heiss und kalt, ich schwitzte stark, teilweise musste ich mich dreimal am Tag umziehen. Immer wieder bekam ich neue Erkältungen. Als ich wieder arbeiten ging, merkte ich aber, wie tief erschöpft ich war. Auch die Frühlingsferien brachten keine Erholung. Auf der Arbeit fiel es mir immer schwerer, mich zu konzentrieren. Sitzungen per Zoom konnte ich kaum folgen, auch einfache Gespräche mit KlientInnen überforderten mich. Im Alltag merkte ich die Erschöpfung beispielsweise beim Einkaufen: Im Laden konnte ich mich kaum erinnern, was ich dort wollte. Bei den Kontrollen beim Hausarzt beruhigte mich dieser jeweils, die Heilung brauche eben Zeit. Für weitere Abklärungen überwies er mich schliesslich an die Post-Covid-19-Sprechstunde am Universitätsspital Zürich (USZ)[2].

Wie zeigen sich die Langzeitfolgen jetzt?
Mitte Juli ging der Husten endlich weg, meine Lunge hat keine Langzeitschäden davongetragen. Auch das schwankende Temperatur-Empfinden und das Schwitzen gingen zurück.
Das bleibende Hauptsymptom ist bei mir die Erschöpfung, auch Fatigue genannt. Alles kostet sehr viel Energie, egal ob Nachdenken, Einkaufen oder Interaktion mit Menschen. Ich wusste vorher nicht, dass Small Talk so anstrengend sein kann. Ich habe morgens ein Zeitfenster, in dem ich Energie für tägliche Aufgaben habe. Mittags muss ich schlafen, damit ich nachmittags noch etwas tun kann. Aber bis zum Abend bin ich völlig erledigt. Trotzdem bin ich abends innerlich sehr unruhig, sodass ich trotz Müdigkeit kaum einschlafen kann. Es fühlt sich an wie bei einer Unterzuckerung. Und die Erschöpfung führt zu Schmerzen am ganzen Körper, bzw. dazu, dass ich Schmerzen viel stärker wahrnehme.

Wann haben Sie realisiert, dass die Folgen der Erkrankung nicht weggehen?
Ich warte auf eine Besserung, die noch nicht eingetreten ist. Mit der Überweisung an die Sprechstunde im USZ und der dortigen Beratung war dann klar, dass ich noch viel Geduld brauchen werde. Die bisherige Erfahrung der ÄrztInnen zeigt einen Verlauf über mehrere Monate. Aber ich bin immer noch der festen Überzeugung, dass es wieder gut wird. Ich glaube daran, dass ich wieder gesund werde, es dauert einfach noch etwas länger.

Wie werden die Beschwerden behandelt, welche Therapien nutzen Sie?
Zuerst wurde ich in die Physiotherapie geschickt. Dort war ich überrascht, wie wenig die Fachpersonen über Fatigue wissen. Aber Bewegung tut mir gut, weshalb ich jetzt zweimal pro Woche in die MTT (Medizinische Trainings Therapie) gehe. Dort arbeiten wir am Erhalt der Kondition. Allgemein versuche ich, trotz der Erschöpfung aktiv zu bleiben.
Ich nehme Vitamine und andere Nahrungsergänzungsmittel zu mir. Diese werden von einer Ärztin für ganzheitliche Medizin individuell auf mich und meine Laborwerte abgestimmt. Zusätzlich gehe ich einmal pro Woche ins Shiatsu und geniesse es sehr.

Wie hilft Ihnen Shiatsu bei den Beschwerden?
Was ich an der Shiatsu-Therapie sehr schätze ist das begleitende Element. Die offene, geduldige, nicht-fordernde Grundhaltung, mit der meine Therapeutin mir und meiner Erkrankung begegnet, tut mir gut. Es gibt mir ein Gefühl von Angenommensein. Sie forciert keine Entwicklung oder Besserung, sondern begleitet mich auf diesem Weg. Etwas zu tun, ohne etwas zu wollen ist eine grosse Kunst.
Körperlich tun mir die sanften Berührungen gut. Nur schon das Ankommen auf der Matte entspannt mich. In der Behandlung sind es die Bewegungen − das Dehnen, das Durchbewegen, die Rotationen, der vorsichtige Druck – die mich meinen Körper besser spüren lassen. Die Art, wie ich durch Shiatsu bewegt werde, lässt mich mehr Lebendigkeit fühlen. Wenn die Therapeutin am Brustkorb arbeitet, bekomme ich ein Gefühl von Weite, von Öffnung.
Und schliesslich ist es das Gespräch, in dem mir die Therapeutin meine Fortschritte spiegelt. Das hilft sehr, da man diese manchmal selbst gar nicht richtig wahrnimmt.

Empfehlen Sie Shiatsu auch anderen bei Long Covid?
Ich bin der Meinung, man sollte selber ausprobieren, was helfen kann. Wenn es nur schon hilft, die Situation besser anzunehmen und zu akzeptieren, ist viel gewonnen. Ich habe für mich schon früher die Erfahrung gemacht, dass Therapien, die den ganzen Körper einbeziehen, guttun.
Auch die psychischen Aspekte sind in der Genesung wichtig. Der Zugang über den Körper ist da für manche vielleicht einfacher als ein Gespräch beim Psychiater. Da bietet sich Shiatsu als Alternative an.
Therapien sind auch ein Signal nach aussen. Aufgrund der verminderten Arbeitsfähigkeit werden Betroffene mit Arbeitgebenden, VertrauensärztInnen und Fachleuten von Versicherungen in Kontakt stehen. Da ist es wichtig aufzuzeigen, dass man sich aktiv um Genesung bemüht.

Hat sich Ihre Auffassung von Gesundheit durch die Erkrankung verändert?
Für mich waren die kognitiven Einschränkungen am überraschendsten. Komplexe Inhalte kann ich mir schwer merken, ich werde schnell müde. Diese fehlende Belastbarkeit macht mir zu schaffen – hier brauche ich mein ganzes Vertrauen in die Zukunft, um mich zu stabilisieren. Deshalb schätze ich heute die kleinen Dinge viel mehr. Schönes Wetter, wenn ein Spaziergang möglich ist, die Freude an den Kindern, sowas übersieht man leicht. Aber nun sind mir diese Dinge eine grosse Stütze.

Interview: Anita Oswald

[1] A clinical case definition of post COVID-19 condition by a Delphi consensus, 6 October 2021 (who.int)

[2] Post-COVID-19 Sprechstunde – Universitätsspital Zürich (usz.ch)


Weitere Informationen zum Thema:
_ Betroffenenvereinigung Long Covid
_ Netzwerk Altea mit Verzeichnis von geeigneten Fachpersonen und Spezialsprechstunden
_ Ganzheitliche Therapieform Shiatsu