Praxisbeispiel: wie unterstützt Shiatsu bei der Behandlung von Long Covid?

«Post Covid-19 Condition», im allgemeinen Sprachgebrauch auch als «Long Covid» bezeichnet, beschreibt die Langzeitfolgen einer Covid-19-Erkrankung. Das häufigste Symptom ist die Fatigue, eine quälende Form von Müdigkeit und Erschöpfung. Zu den weiteren Beschwerden zählen brain fog (Konzentrationsstörungen), eine generell eingeschränkte Belastbarkeit, Atemnot, Kopf-, Muskel- und Gliederschmerzen oder länger-dauernder Geschmacks- und Geruchsverlust. Ebenso treten neurologische und psychische Beschwerden auf, wie Sensibilitäts- oder Schlafstörungen, Ängste und Depressionen oder sogar PTBS (posttraumatische Belastungsstörung).

Marianne (43) leidet an Langzeitfolgen ihrer Covid-19-Infektion. Die akuten Symptome wie hartnäckiger Husten, wiederkehrende Erkältungen, schwankendes Temperatur-empfinden und starkes Schwitzen gingen von selbst zurück. Was blieb, war die bleierne Müdigkeit (Fatigue). Alles kostet sie sehr viel Energie, egal ob Nachdenken, Einkaufen oder Interaktionen mit Mitmenschen. Morgens hat sie Energie für tägliche Aufgaben, dann folgt ein Mittagsschlaf. Nachmittags bleibt ihr nur noch wenig Energie. Abends fühlt sie sich ausgelaugt. Trotzdem ist sie innerlich sehr unruhig, so dass sie kaum einschlafen kann. Die Erschöpfung führt zu Schmerzen am ganzen Körper, bzw. zu einer erhöhten Schmerzwahrnehmung. Die kognitiven Einschränkungen empfindet sie als schlimm, die fehlende Belastbarkeit macht ihr psychisch zu schaffen. Komplexe Inhalte kann sie sich schwer merken und sie ermüdet schnell.

Long Covid aus Sicht der Shiatsu-Therapie
Grundsätzlich geht es bei Long Covid um Erschöpfung, um Leere. Die Stärkung des Yin und der Grundenergie steht im Vordergrund.
Die Selbstregulation ist aus dem Gleichgewicht geraten und geschwächt. Dies aufgrund einer Autoimmunreaktion oder weil das Virus noch im Körper aktiv ist. Das führt zu einer geringen Belastbarkeit.
Die Beschwerden betreffen Körper, Geist und Seele gleichermassen und haben soziale Auswirkungen. Das können Existenzängste, fehlende emotionale Ausgeglichenheit oder das Trauma der Erkrankung sein. Die Ängste können sich auch darauf beziehen, dass die Beschwerden vom Umfeld nicht ernst genommen werden.
Zur Stärkung der Genesungskompetenz wird die Körperwahrnehmung gestärkt. Übungen für zuhause können dabei unterstützen, etwa Meridiandehnungs-Übungen, Meditationen oder progressive Muskelentspannung. KlientInnen sollen sich aber nicht überfordern. Die Erfahrungen der KlientInnen aus der Behandlung oder ihrem Alltag werden im begleitenden Gespräch aufgenommen.
Shiatsu aktiviert den Parasympathikus, den beruhigenden Teil des Nervensystems. Dies senkt den Blutdruck und die Herzfrequenz, führt zu einer vertieften und freieren Atmung und reduziert die Muskelspannung. Dadurch werden Energien freigesetzt und kommen ins Fliessen. Das Herzrasen und die Enge in der Brust können gelindert werden, es entsteht mehr Raum. Der Brustkorb kann sich öffnen, Betroffene atmen freier. Beschwerden wie Kopfschmerzen und brain fog klingen ab, der Geist wird klar und leicht. Gliedmassen werden sanft gehalten und bewegt. So kommen die Faszien, Gelenke und Muskeln wieder in Bewegung und werden geschmeidiger. Die Betonung liegt dabei auf der Sanftheit. Grosse Rotationen oder dynamische Bewegungen sind nicht sinnvoll. Ziel ist es, das System nicht mit Impulsen zu überfordern.

Mit Shiatsu Ruhe finden
Marianne geht nun einmal pro Woche ins Shiatsu. Dort schätzt sie das begleitende Element. Die offene, geduldige, nicht-fordernde Grundhaltung der Therapeutin tut ihr gut und gibt ihr ein Gefühl des Angenommenseins. Die sanften Berührungen entspannen sie. Die langsamen Bewegungen − das Dehnen, die Rotationen, der achtsame Druck – führen zu einer besseren Körperwahrnehmung. Die Art, wie sie durch Shiatsu bewegt wird, lässt sie mehr Lebendigkeit fühlen. Wenn die Therapeutin am Brustkorb arbeitet, bekommt sie ein Gefühl von Weite, von Öffnung. Im Gespräch spiegelt ihr die Therapeutin die erreichten Fortschritte. Das hilft sehr, denn Marianne nimmt diese selbst gar nicht richtig wahr.
Über die Körperarbeit werden die emotionalen und psychischen Anteile der Genesung gut angesprochen. Manchmal ist der Zugang zu diesen Themen in der Körpertherapie einfacher als im Gespräch beim Arzt. So bietet ihr Shiatsu eine passende Ergänzung zur schulmedizinischen Behandlung in der Long-Covid-Sprechstunde im Spital.

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