Erwachsen werden im Land der Möglichkeiten
Die Erwartungen an junge Erwachsene sind hoch. Kaum sind sie aus den Kinderzimmern raus, ändert sich ihre ganze Welt. Ihnen stehen alle Möglichkeiten und Freiheiten offen, durch die sie eigenverantwortlich hindurch navigieren sollen. Was aber, wenn das nicht so einfach ist?
Lina (21) schliesst ihre Lehre als Fachfrau Betreuung Kinder erfolgreich ab. Danach findet sie eine Stelle in der Nähe ihres Wohnortes. Mit dem Wechsel in die „echte Erwachsenenwelt“ kommt ein Gefühl der Überforderung auf. Nach der klaren Struktur der Ausbildung fühlt sie sich orientierungslos in einer Welt voller Möglichkeiten.
In der KomplementärTherapie geht es grundsätzlich darum, den Menschen in seiner individuellen Kraft zu stärken. Dazu gehört es auch, KlientInnen darin zu bestärken, das für sie Passende zu wählen. Wir sind beeinflusst von verschiedenen Meinungen, Erwartungen und Glaubenssätzen, die uns vorgeben, was richtig und was falsch ist. Was gesund ist und was nicht. Oft widersprechen sich diese Meinungen auch noch. Eigentlich sollte jeder Mensch für sich herausfinden können, wie der eigene Weg aussehen muss. Junge Erwachsene fragen sich, was ist für mich richtig, was stimmt für mich? Was brauche ich? Diese Fragen sind zentral. Shiatsu als komplementärtherapeutische Methode kann Menschen auf der Reise zu ihren eigenen Erkenntnissen begleiten und unterstützen.
Eine Körpertherapie ist ein anderer Zugang zur Gesundheit als eine Gesprächstherapie. Gerade junge Erwachsene wollen sich aber oft nicht von Fremden berühren lassen. Es sind vielleicht Unsicherheiten in Bezug auf den eigenen Körper vorhanden, weil sich dieser erst in den letzten Jahren so stark verändert hat. Hier Vertrauen zur TherapeutIn aufzubauen, braucht Zeit. Shiatsu bietet den Vorteil, dass am bekleideten Körper gearbeitet wird. So sind Berührungen nicht so unangenehm, wie sie auf der nackten Haut vielleicht wären. TherapeutInnen bieten auch immer zusätzlich eine Decke an, so dass KlientInnen sich beschützt und warm fühlen.
In der Pubertät sind Jugendliche stark durch ihre Peergroup geprägt. In der Anpassung an die Peergroup sehen junge Menschen dann oft wie uniformiert aus. Alle tragen die gleiche Kleidung und Frisur, hören die gleiche Musik und vertreten die gleichen Interessen. Die Zugehörigkeit zu einer Gruppe ausserhalb der Familie stellt eine erste Abgrenzung von den Eltern dar. Diese Abgrenzung ist nötig, um die eigene Persönlichkeit zu entwickeln. Mit der Zeit kann es aber sein, dass junge Menschen merken, dass die gewählte Gruppe gar nicht passend für sie ist. Oft folgt eine erneute Ablösung während der Weiterentwicklung zu jungen Erwachsenen. In dieser Phase fühlen sich einige verloren: Wo gehören sie hin, wohin geht ihr Weg?
Das Leben in westlichen Gesellschaften bietet hier viel Auswahl: Es gibt für junge Erwachsene fast unbegrenzte Möglichkeiten, wie sie ihr Leben gestalten können. Die Qual der Wahl kann aber auch überfordern. Sich entscheiden zu müssen, erzeugt Druck und bringt Stress mit sich. In dieser Phase herauszufinden, was man persönlich gut findet, ist nicht einfach und oft leichter mit Hilfe zu bewältigen.
In den ersten Wochen an ihrer neuen Arbeitsstelle wirkt Lina scheu und irgendwie abwesend. Sie tut sich schwer mit dem Wechsel, obwohl sie ihn selbst gewählt hat. Das neue Umfeld mit neuen Personen und Abläufen irritiert sie anfangs. Sie vermisst ihre Kolleginnen und die bekannten Strukturen aus der Lehrstelle. Sie hadert mit der Veränderung. Zuhause liegt Lina oft erschöpft im Bett und schläft. Sie denkt viel darüber nach, wie sich ihr Leben nun ändert. Kann sie die Verantwortung einer ausgelernten Fachperson tragen? Sie leitet Praktikantinnen an, nur wenig jünger als sie – macht sie das gut? Sie spricht mit den Eltern der Kinder – vergisst sie auch nichts?
Im begleitenden Gespräch geht es auch darum, Stressmarker zu identifizieren und damit zu erkennen, wie der eigene Körper reagiert, wenn man gestresst ist. Typische Zeichen können beispielsweise ein roter Kopf, Herzrasen oder auch fehlende Worte sein. In der Therapie lernt man, frühe Signale des Körpers im Alltag zu erkennen und bespricht persönlich hilfreiche Verhaltensstrategien. So verhindert man, überhaupt in einen Stresszustand zu kommen und bleibt handlungsfähig.
Lina fragt sie sich, womit sie ihre freie Zeit füllen soll. Während der Lehre war die Freizeit mit Lernen und Zusatzaufgaben gefüllt. Hobbies und Ausgang hatten einen kleinen Stellenwert. Immer wieder hört sie den Satz „Jetzt steht dir die Welt offen!“, aber sie kann damit nicht viel anfangen. Was bedeutet das? Muss sie sich schon Weiterbildungen suchen? Oder sich ins Partyleben stürzen? Ausziehen, alleine wohnen? Sie verdient nun einen vollen Lohn, wofür soll sie das Geld einsetzen? Auf Weltreise gehen? Ersparnisse anhäufen? Alle in ihrem Umfeld haben eine Meinung dazu.
Shiatsu hat einen direkten Einfluss auf das vegetative Nervensystem. Der tiefe, angepasste Druck wirkt auf den Parasympathikus. Das hilft, zu entspannen. Von diesem Effekt berichten viele Menschen, wenn sie ihre Erfahrung mit Shiatsu beschreiben. Sie erspüren ihren Körper in Ruhe. Es hilft bei der Selbstfindung, wenn man runterfährt und diese Ruhe spüren kann. Denn wenn der Sympathikus (der Gegenspieler des Parasympathikus) zu aktiv ist, befindet sich der Körper in andauernd hoher Leistungsbereitschaft. Das blockiert, man kann nicht klar denken und ruhig überlegen.
Jungen Erwachsener ist oft noch nicht klar, was die eigene Kraft ausmacht. Hier kann Shiatsu auch mit dem Zugang über die fünf Wandlungsphasen oder Elemente viel beitragen. Gemeinsam mit der TherapeutIn findet der Klient/die Klientin heraus, welche Wandlungsphase bei ihm/ihr prägend ist. Jeder Mensch trägt verschiedene Anteile in sich, meist sind aber ein bis zwei Elemente vorherrschend bei der Bildung der körperlichen und geistigen Eigenschaften. Wichtig ist, in der Qualität des eigenen (Haupt-)Elements zu bleiben. Man kann Verschiedenes ausprobieren, sollte aber stets wieder in die eigene Qualität zurückfinden. Wer versucht, etwas anderes zu sein, kann nicht aus seiner Kraft schöpfen. Wer aber in seiner Qualität agiert, fühlt sich und zeigt sich stark.
Dieser Text entstand aus den Interviews mit Lina (Name geändert) und Sabina Kaiser, Shiatsu-Therapeutin mit eigener Praxis in Zürich.
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