Shiatsu und Kinderwunsch: Raum und Zeit geben

Interview mit Charlotte Huggel, KomplementärTherapeutin mit eidgenössischem Diplom Methode Shiatsu

Bevor ein menschliches Leben mit seinen verschiedenen Lebensphasen entsteht, steht oft der explizite oder auch unausgesprochene Kinderwunsch der zukünftigen Eltern. Dass dieser Wunsch nicht immer und häufig nicht sofort erfüllt wird, erfahren viele Paare erst, wenn es sie selbst betrifft. Charlotte Huggel begleitet Frauen mit unerfülltem Kinderwunsch mit Shiatsu.

Charlotte, du arbeitest schon seit 20 Jahren mit der Thematik Kinderwunsch in deiner Shiatsu-Praxis und hast auch diverse Weiterbildungen zu Shiatsu bei Schwangerschaft und Geburt gemacht. Wie geht es den Frauen, die zu dir kommen?
Frauen, die mich kontaktieren, haben meist schon über längere Zeit versucht, schwanger zu werden. Sie sind oft sehr verzweifelt und haben schon vieles probiert. Sie stehen unter grossem Druck, den sie sich selbst machen oder der auch von aussen kommt. Die meisten Paare haben medizinische Abklärungen hinter sich, einige auch bereits mehrere Inseminationen oder künstliche Befruchtungen. Und oft fürchten sie weitere, eventuell nicht zum Erfolg führende, Behandlungen.

Wie kann Shiatsu bei Kinderwunsch konkret helfen?
Etwas vom Wichtigsten für mich ist eine gründliche Anamnese, bei der ich der Klientin gut zuhöre, um mir ein umfassendes Bild zu Fragen wie diesen zu machen: Gibt es medizinische Gründe, die das Schwangerwerden erschweren? Wo steht die Frau/das Paar mit Kinderwunsch im Leben? Was genau an der Situation verursacht Stress? Dadurch kann geklärt werden, welche Optionen sie und ihr Partner schon erwogen haben, und die Reflektion kann helfen, eine eventuelle Fixierung zu lockern.
Mein erstes und wichtiges Anliegen ist immer, Druck wegzunehmen. Junge und gesunde Frauen sollten auch kein schlechtes Gewissen haben, dass sie ein aktives Leben führen und „viel zu tun“ haben. Denn in der Menschheitsgeschichte sind Frauen selbst unter schlimmen und belastenden Umständen wie Krieg und Unterernährung schwanger geworden.

Auch in der Behandlung geht es primär um Entspannung, ein Zustand, in der sich die Frau bestmöglich selbst spürt. Aus westlich-medizinischer Sicht arbeiten wir im Shiatsu ja an der Entspannung des autonomen Nervensystems. Dies bewirkt meist ein Gefühl der Expansion im Körper, und wenn dieser „Mehr-Raum“ da ist, folgt auch ein Gefühl von „Mehr-Zeit“.

„Das Ziel“, die Schwangerschaft, bedingt im Grunde eine grosse Empfängnisbereitschaft. Und diese kann nicht „aktiv gemacht“ werden. Diese „gefragte Passivität“ fällt den Frauen verständlicherweise oft schwer – sie würden ja gerne alles „tun“, um schwanger zu werden.

Welche Anleitungen gibst du den Frauen mit? 
Ich kann den Kinderwunsch gut nachempfinden und habe grosse Empathie. Ich tue mein Bestes, um die Frauen ermutigend zu begleiten: Weniger will ich nicht, aber mehr kann ich auch nicht! Aufgrund meiner spirituellen Ausrichtung bin ich überzeugt, dass geschieht, was geschehen soll. Ich höre zu, tröste, ich berate aber nicht ungefragt. Die Frauen bekommen oft schon sehr viele Empfehlungen zu was sie machen müssen, was sie nicht machen sollten. Ich möchte den Frauen vor allem Mut machen.

Damit sich ein Kind wohlfühlt, sollte „die Kinderstube warm und angenehm“ sein. Ich leite die Frauen an, die Gebärmutter zu visualisieren. Die Möglichkeit, Gedanken, Wünsche und Bilder zu verORTen, kann sehr hilfreich sein. Und mit der Vorstellung der „warmen Kinderstube“ folgen auch die Kraft und das Ki dorthin. Unterstützende Möglichkeiten sind zudem spezifische Atemübungen, um das Hara und die Nierenenergie zu stärken. Und ich arbeite natürlich über spezifische Meridiane und Punkte, insbesondere mit den Ausserordentlichen Meridianen.

Arbeitest du auch mit Paaren oder den beiden Partnern einzeln? Der Grund von Kinderlosigkeit liegt ja oft nicht oder nicht nur bei der Frau. 
Die Partner meiner Klientinnen haben manchmal das Bedürfnis, Shiatsu kennenzulernen. Sie kommen nicht, um sich vor der Schwangerschaft „etwas Gutes“ zu tun, auch wenn dies vielleicht sinnvoll wäre. Die Frauen schätzen es aber auch, einen Ort für sich allein zu haben – ohne Partner, GynäkologInnen, Spital oder Labor. Oft brauchen sie nach der Shiatsu-Behandlung etwas Zeit für sich und ich ermutige sie, sich diese „Raum-Zeit“ unbedingt zu nehmen. Das Paar wird aber klar als Einheit berücksichtigt, und es ist mir ein Anliegen, den Partner im Gespräch mit einzubeziehen, auch immer wieder bewusst zu machen, dass der Mann auch mitfühlt, eventuell auch leidet, auch wenn er es vielleicht nicht so gut verbalisieren oder zeigen kann.

Du arbeitest mit dem Kinderwunschzentrum in Basel zusammen. Wie hat sich diese Zusammenarbeit ergeben? 
Ich kannte den Gynäkologen Dr. Jean-Claude Spira des Kinderwunschzentrums schon länger. Er war an Shiatsu interessiert und wollte diese Methode persönlich kennenlernen. Auf meine Behandlungen folgte ein sehr fundiertes und reflektiertes Feedback von seiner Seite. Er fand, dass Shiatsu die ideale Ergänzung zu den medizinischen Behandlungen und der angebotenen psychologischen Betreuung der Frauen im Zentrum sein könnte. So wurde Shiatsu ein integrativer Teil des Arbeitskonzepts.

Wie sieht die Zusammenarbeit mit dem Kinderwunschzentrum aus? 
Shiatsu kann ja nicht verordnet werden – aber empfohlen! Ich erlebe ein grosses Vertrauen und gegenseitige Wertschätzung. Ich unterstütze auch klar die Arbeit des ÄrztInnen-Teams des Kinderwunschzentrums, ebenso die Arbeit der super-engagierten LaborantInnen.

Was ist dein Rat an Menschen mit Kinderwunsch? 
Ich würde ihnen raten, mit einer Gynäkologin oder einem Gynäkologen welche/r vertrauenswürdig, fachlich kompetent und empathisch ist, das Gespräch zu suchen und sich gut zu informieren über die vielen medizinischen Möglichkeiten, die Bedingungen, Kosten und natürlich auch über die möglichen Schwierigkeiten und Alternativen.

Worin siehst du die Stärke von Shiatsu bei einem Kinderwunsch? 
Shiatsu ermöglicht der Frau, in ihren eigenen Raum zu kommen und ihre Gedanken und das eigene Befinden besser zu spüren. Der Zeitdruck wird so kleiner; es muss dann nicht unbedingt beim nächsten Zyklus klappen. Auch ermöglichen es die Shiatsu-Behandlungen, zumindest in gewissen Momenten, die Seele sorglos baumeln zu lassen, was die Lebensqualität in dieser anspruchsvollen Lebens-Phase deutlich verbessern kann.

Interview: Andrea Pfisterer