Shiatsu im 1. Lebensjahr: Dasein, wenn es schwierig ist

Ein Kind, das auf die Welt kommt, bringt viel Freude, viel Schönes und Neues mit sich. Jedoch können die ersten Wochen und Monate nach der Geburt auch kräfteraubend sein für Eltern und Neugeborenes: Wenig Schlaf, ein weinendes Kind, Koliken, die neue Lebenssituation, aber auch die Hormonumstellung bei der Mutter können sehr herausfordernd sein. Dies kann erschöpfen und bisweilen auch traurig oder hilflos stimmen. Das Baby macht zudem enorme Entwicklungsschritte, die auch nicht immer reibungslos ablaufen.

von Sabine Bannwart

Bei der Shiatsu-Behandlung von Babys und Kleinkindern berücksichtige ich, dass deren Meridiansystem noch am Entstehen ist, passe die Behandlung durch spezifische Baby-Shiatsu-Griffe an und ergänze sie mit Griffen aus der Newar-Babymassage oder Techniken aus dem Shonishin. Im Shonishin werden Akupunkturpunkte, Meridiane und Meridianfamilien mit einem kleinen Instrument auf sehr sanfte Weise behandelt. Allgemein ist die Behandlung relativ kurz und wird so den Bedürfnissen des Babys eher gerecht.
Auch die Eltern können angeleitet werden, wie sie beispielsweise im Fall von Koliken das Kind selbst über Druckpunkte oder mit einfachen Massagegriffen behandeln können. Durch diese Schulung der Eltern entspannt sich die Situation daheim oft massiv.
Das begleitende Gespräch und die Beobachtung der Eltern offenbaren der Therapeutin meist wichtige Hinweise zu möglichen Ursachen der Beschwerden oder darüber, weshalb die Situation als herausfordernd erlebt wird. Hier wird mit den Eltern oder der Mutter und dem Neugeborenen zusammengearbeitet. Neben dem Gespräch und dem Zuhören liegt der Fokus auf der Entwicklung einer festen familiären Bindung. Alle Beteiligten in diesem Prozess zu unterstützen, ist eine sehr innige Arbeit, die ein feines Gespür und Einfühlungsvermögen voraussetzt.

Anpassungsstörungen von Baby und Mutter: ein Beispiel
Ich erinnere mich an eine Mutter, die sich nach einer schwierigen Geburt körperlich nicht bei sich fühlte, die keinen Zugang zu ihrem Neugeborenen fand und sehr erschöpft war. Bei der ersten Behandlung legte sie das Baby weit von sich entfernt auf dem Futon ab. Es schien, als wäre das Kind für die Mutter überhaupt nicht anwesend. Die Behandlung der Bauchregion der Mutter im Bereich der Milz- und Herzzonen und insbesondere die Behandlung des Milzmeridians an den Unterschenkeln standen im Vordergrund der Therapie. Die Ziele waren, den Zugang der Klientin zur eigenen Mitte zu unterstützen, die Öffnung ihrer Herzenergie für das Kind und die Stützung ihres Ankommens im Muttersein. Bei der folgenden Sitzung fragte ich sie, ob ich ihre Tochter näher an ihren Körper legen dürfte, bei der übernächsten legte ich ihr das Mädchen auf die Brust und behandelte weiter ihren Herz- und Milzmeridian. Dabei war mir die Verbindung zwischen Kind und Mutter wichtig. Diese unterstützte ich, indem ich während der Behandlung der Mutter mit der zweiten Hand stets mit dem Kind in Kontakt blieb. Diese Art der Verbindung im Aussen, insbesondere beim Kontakt mit dem Milzmeridian der Mutter, bewirkte beim Kind und der Mutter eine tiefe Entspannung und Zufriedenheit. In den weiteren Behandlungen beobachtete ich, dass der Kontakt zwischen Mutter und Kind viel natürlicher und aus eigener Motivation stattfand. Bei Abschluss der Therapie sagte die Mutter, dass sie erst jetzt sagen könne, dass sie ihr Kind liebe. Es sei ein Band zwischen ihnen entstanden.

Nähren von Mutter und Kind
Ein anderes Beispiel war eine Mutter, die ihr Kind nicht ernähren konnte – sie hatte zu wenig Milch, das Baby jammerte oft. Zudem war für die Mutter wenig körperliche Nähe zum Kind möglich. Die Mutter schien nervös, teilweise überfordert, ungeduldig und körperlich schwach. Da sie das Kind zur Beruhigung über viele Stunden am Tag tragen musste, fehlte ihr gegen Abend die Geduld auf dessen Bedürfnisse einzugehen.
Die Behandlung konzentrierte sich in der Folge bei der Mutter auf die Erd-Meridiane Milz und Magen mit dem Ziel zu zentrieren, ihr Muttergefühl zu stärken, sie Körperlichkeit erfahren zu lassen und sie anzuregen, sich selber zu nähren und anzunehmen, aber auch Liebe zu sich und dem Kind zu entwickeln.
Beim Kind war die Behandlung der vorderen Meridian-Familie (Lunge, Dickdarm, Magen, Milz) wichtig. Therapieziel hier war, das Baby darin zu unterstützen, die eigene Mitte zu finden und Vertrauen ins Leben und in die Mutter als Bezugsperson zu entwickeln. Das Gespräch mit der Mutter dazu war sehr wichtig, denn durch den grossen Hunger des Kindes wurde ihr so viel Energie entzogen, dass sie selber fast keine Kraft mehr hatte. In diesen Gesprächen stellte sich heraus, dass die Frau früher unter einer Essstörung gelitten hatte. Sie erwähnte auch, dass sich das Körpergefühl nach dem Stillen anfühle wie die Schwächeanfälle, welche sie aus den schlimmsten Zeiten der Magersucht kannte.
In Fällen von Essstörungen arbeite ich gerne mit einer Ernährungsberaterin zusammen, an die ich die Klientin weiterleitete. Durch einen geregelten und fest definierten Essplan fand die Frau zurück in ihre körperliche Stärke und das Kind wurde optimal ernährt. Beide konnten sich dadurch entspannen, und das Jammern des Kindes hörte auf. Gleichzeitig entwickelte sich die Bindung zwischen Mutter und Kind in einer gesunden und schönen Art und Weise. Dies war erst möglich, als die Mutter Entspannung fand und selbst genährt war.

Schwierige Geburt
Unerwartete Vorkommnisse während des Geburtsprozess sind ebenfalls oft Thema für eine Inanspruchnahme von Shiatsu. Hier erinnere ich mich an einen sehr berührenden Fall. Die Eltern kamen durch eine mir bekannte Hebamme auf mich zu. Der Vater war Assistenzarzt. Die Geburt war sehr traumatisch verlaufen, der Erstkontakt zwischen Mutter und Baby war am Tag der Geburt aufgrund der Situation nicht wie gewünscht möglich gewesen. Der Vater fühlte sich trotz seines Berufs der Situation hilflos ausgeliefert.
Die Shiatsu-Sitzung fand zu viert statt: Der Vater sass im Schneidersitz am Ende der Matte, den Kopf der Mutter in seinem Schoss, das Neugeborene lag auf der Brust der Mutter. Auch bei dieser Behandlung war der Kontakt zwischen dem Milzmeridian der Mutter und dem Neugeborenen essentiell. Zusammen besannen sich die Eltern auf den Moment, als das Kleine auf die Welt kam, auf die Vorstellung, wie das gemeinsame Ankommen, der erste enge Körperkontakt mit dem Neugeborenen hätte sein können. Und mit diesem Gefühl, das eine Imagination der Wunschgeburt war, gingen wir durch die Shiatsu-Behandlung. So konnte das, was im Geburtssaal nicht geschehen durfte, später im Shiatsu entstehen. Das ursprüngliche Gefühl der Ohnmacht konnte schönen Gefühlen weichen. Berührende Momente der Freude, Tränen des Glücks und der Dankbarkeit durften geschehen.

Sabine Bannwart absolvierte nebst ihrer Shiatsu-Ausbildung die Ausbildung zur Kursleiterin in Babymassage sowie Fortbildungen in Baby-Shiatsu und Shonishin.