Körperdysmorphe Störung (KDS) und Shiatsu

Hass auf das eigene Aussehen, eine gestörte Wahrnehmung des eigenen Körpers, die wahnhafte Züge annehmen kann: Eine KDS-Diagnose zu erhalten, kann ein schwieriger Prozess sein. Zum einen wegen der eigenen Scham und des geringen öffentlichen Bewusstseins für diese psychische Erkrankung und zum anderen wegen der Schwierigkeiten, die Fachpersonen bei der Erkennung von KDS haben.

Was ist eine körperdysmorphe Störung?
KDS ist gekennzeichnet durch eine zwanghafte Sorge bezüglich wahrgenommener körperlicher Makel. Die Gedanken von Betroffenen kreisen ständig und leidvoll um ihre Mängel, während diese wahrscheinlich von anderen nicht einmal wahrgenommen werden.
Diese Störung manifestiert sich in der Regel in der Pubertät kann aber auch in anderen Altersstufen und Situationen oder nach einem Trauma auftreten. Manchmal erscheint sie zusammen mit anderen psychischen Problemen, die das Leben der Betroffenen erheblich belasten.

Die Ursachen
Einige Studien deuten darauf hin, dass Menschen, die von KDS betroffen sind, anders «sehen» als andere. Das heisst, die Betroffenen haben die genetische Veranlagung zu einem überaktiven visuellen System, das sie auf Aspekte von Bildern fokussieren lässt, die für andere Menschen keine Relevanz haben. Wie viele andere psychische Erkrankungen kann die körperdysmorphe Störung aus einer Kombination von Faktoren hervorgehen, z. B. einer familiären Vorbelastung, negativen Bewertungen oder Erfahrungen in Bezug auf den eigenen Körper oder das Selbstbild sowie einer abnormen Gehirnfunktion oder einer unphysiologischen Serotonin-Konzentration im Gehirn.
Scham als soziale Emotion spielt dabei eine wichtige Rolle. Scham ist ein negativer Glaube, den wir über uns selbst haben. Sie entsteht, wenn wir eine negative Reaktion des Umfelds erwarten oder bekommen und ist verbunden mit der Angst, ausgeschlossen oder verachtet zu werden.

Versuchen wir, uns das einen Moment lang vorzustellen:
Wenn Sie von KDS betroffen sind, ist es vielleicht Ihr Ellenbogen, der «monströs» dick ist, vielleicht haben Ihre Knie eine «seltsame» Form. Vielleicht ist es der Kopf, der im Verhältnis zum Rest des Körpers zu klein/groß/quadratisch ist. Diese objektiv nicht vorhandene oder geringfügige «Missbildung» nimmt gigantische, anstrengende und zentrale Dimensionen in Ihrem Leben an. Sie schauen immer wieder in den Spiegel, suchen Bestätigung, manchmal während vieler Stunden am Tag. Ihr wahrgenommener Makel und die sich wiederholenden Verhaltensweisen bereiten Ihnen erheblichen Kummer und beeinträchtigen Ihre Fähigkeit, im täglichen Leben zu funktionieren.
Sie versuchen, den Makel vor anderen zu verstecken, fühlen sich in sozialen Situationen schlecht. Im Extremfall, wenn die Störung Sie so sehr behindert, dass Sie nicht mehr zur Schule oder zur Arbeit gehen können, suchen Sie vielleicht die Lösung in der kosmetischen Chirurgie. Was natürlich keine Lösung ist, da es sich bei dem Problem um eine subjektiv wahrgenommene Entstellung handelt, so real sie für Sie auch sein mag.

Die Begegnung im Shiatsu
In vielen Fällen sind Shiatsu-TherapeutInnen die ersten AnsprechpartnerInnen für Menschen, die ihre geistige und körperliche Gesundheit verbessern wollen. Shiatsu-TherapeutInnen sind darin geschult, Menschen genau zu beobachten und wahrzunehmen, wie sie sich präsentieren und im Raum bewegen. Ihre Aufmerksamkeit und Neugierde für die Beziehung zwischen Körper und Emotionen der KlientInnen ist geschärft. Dadurch können sie auch widersprüchliche Emotionen wahrnehmen, z. B. wenn ein Klient oder eine Klientin scheinbar etwas mitteilen und es gleichzeitig verbergen möchte.
In den ersten Sitzungen erwähnen KlientInnen, die an einer körperdysmorphen Störung leiden, oft Probleme, für die sie sich nicht zu sehr schämen, über die sie leichter sprechen können und die sozial akzeptabel sind, wie z. B. Angstzustände oder Stress. Mit der Zeit und mit dem Aufbau einer vertrauensvollen und zwanglosen Beziehung, können KlientInnen beginnen, Emotionen auszudrücken, die sie sich zuvor nicht einmal selbst eingestehen wollten. Manchmal handelt es sich dabei um Gefühle, die den eigenen Körper und wahrgenommene Missbildungen oder Mängel betreffen.

Wie häufig ist KDS? *
Etwa 2 % der Bevölkerung in Europa und den USA sind von dieser Störung betroffen. Auch wenn 2 % nach wenig klingt, bedeutet es, dass in einem Zugwagen, in dem etwa fünfzig Menschen sitzen, mindestens eine Person wahrscheinlich an KDS leidet. Bei Personen, die sich einer kosmetischen Operation unterziehen, kann der Anteil KDS-Betroffener sogar 15 % erreichen.

Wo erhalten Betroffene die Diagnose? *
KDS, die inzwischen im DSM-5 (Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders) zu den Zwangsstörungen gezählt wird, ist schwer zu klassifizieren. PatientInnen wenden sich oft nicht als erstes an eine psychiatrische Fachperson, sondern gehen zu einem plastischen Chirurgen oder einer plastischen Chirurgin. Somit erhalten sie oft keine angemessene Unterstützung. Wenn sie sich doch direkt an eine Psychiaterin oder einen Psychotherapeuten wenden, dann in der Regel, weil sie an einer anderen Art von Pathologie wie Schizophrenie oder anderen schweren psychischen Problemen leiden. Die Diagnose einer körperdysmorphen Störung basiert meist auf einer Beurteilung der Risikofaktoren sowie der Gedanken, Gefühle und Verhaltensweisen der PatientInnen im Zusammenhang mit einem negativen Selbstbild.

Wie kann Shiatsu unterstützen? *
Die Shiatsu-Therapie kann den Betroffenen helfen, einen versöhnlichen Bezug zu ihrem eigenen Körper herzustellen und damit ein gesundes Selbstwertgefühl aufzubauen. Dabei ist es wichtig, dass Shiatsu-TherapeutInnen neugierig und informiert bleiben, um auch in den komplexesten Fällen Unterstützung bieten zu können. Eine Zusammenarbeit mit oder Weiterverweisung an psychiatrische oder psychotherapeutische Fachpersonen muss bei Bedarf mit den KlientInnen besprochen werden. Indem notwendige konventionelle Behandlungen mit der nicht-invasiven Hilfe von Shiatsu kombiniert werden, kann ein ganzheitlicher therapeutischer Ansatz angeboten werden, der im Falle von KDS eine wunderbare Unterstützung darstellt.

Autorin: Alice Zagato
* Diese Fragen wurden von Dr. Pascal Berger, Psychiater und Psychotherapeut, im direkten Gespräch beantwortet.

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